Situation auf Bundes- und Landesebene

Im Jahr 2022 hat das Bundeskabinett den Aktionsplan „Queer leben“ veröffentlicht. Darin sind viele unserer politischen und gesellschaftlichen Forderungen enthalten. Für uns ist das ein riesiger Erfolg! Nach der Planung muss nun die konkrete Umsetzung zügig vorangehen. Ein aus unserer Sicht negatives Beispiel ist die Tatsache, dass im Nachtragshaushalt der neuen niedersächsischen Landesregierung vollständig ignoriert wurde, dass die entsprechenden Mittel für queerpolitische gesellschaftliche Arbeit auf ein mit anderen Bundesländern vergleichbares Niveau erhöht werden sollten. Nun muss ein Landesaktionsplan erarbeitet werden und dessen Umsetzung endlich auch mit den entsprechenden finanziellen Mitteln im Haushalt unterfüttert werden. Das ehrenamtliche Engagement vieler Menschen, die im queerpolitischen Kontext aktiv sind, wird derzeit noch nicht einmal ausreichend durch die Bereitstellung von Geldern für Sachmittel unterstützt.

Politische Forderungen
Politische Forderungen

Der CSD Nordwest e.V. stellt die folgenden politischen Forderungen:

 

Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal „sexuellen und geschlechtlichen Identität“!

Wir fordern die Einbeziehung der „sexuellen und geschlechtlichen Identität“ in den Artikel 3, da nur so eine volle rechtliche Gleichstellung von LSBTIQ* erreicht werden kann. Das Grundgesetz sagt in Artikel 3 aus, dass niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Zudem darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Dieser Diskriminierungsschutz ist wesentlicher Bestandteil des Grundrechtekatalogs des Grundgesetzes, aber: Der Schutz der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten kommt darin nicht vor. Das Grundgesetz schützt LSBTIQ* also im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Minderheiten nicht explizit vor Diskriminierung.

 

Akzeptanzförderung durch Bildung!

Wir fordern die niedersächsische Landesregierung dazu auf, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt so im Bildungssystem zu verankern, dass Akzeptanz gefördert und Gewalt verhindert wird. Der Diskriminierung von LSBTIQ* innerhalb der Gesellschaft muss durch eine aktive Aufklärungs- und Bildungspolitik entgegengewirkt werden. Vor allem den Schulen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Informationen über LSBTIQ* sind fächerübergreifend und altersgerecht in Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien, Schulbücher und in die (sozial-)pädagogischen Aus- und Fortbildungsrichtlinien aufzunehmen, um deren Akzeptanz zu fördern. Diese Aufklärungsarbeit in Bezug auf LSBTIQ* ist gerade deshalb so wichtig, um der auf den Schulhöfen immer noch weit verbreiteten Queerfeindlichkeit Einhalt zu gebieten. Gerade hier muss queerfeindliche Äußerungen deutlich widersprochen werden, damit die Ablehnung nicht in den Alltag übergreift und die Gewalt eskaliert.

 

Förderung von Vielfalt – Ausgrenzung bekämpfen!

Wir fordern nicht nur vom Staat, sondern von allen gesellschaftlichen Institutionen – Unternehmen, Medien, Glaubensgemeinschaften, Vereine, Verbände, Stiftungen usw. – die Akzeptanz aktiv zu fördern. Die Ablehnung nicht heteronormativer Lebensweisen ist trotz aller gesetzlichen Fortschritte weiterhin ein Problem in unserer Gesellschaft, dessen Bekämpfung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Initiativen hierzu auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene müssen in Gang gesetzt, fortgeführt und auch in Zukunft finanziell angemessen ausgestattet werden. Insbesondere junge Menschen brauchen während der nach wie vor schwierigen Phase des Coming-Out Unterstützung durch öffentliche Einrichtungen. Diese Vereine und andere Institutionen benötigen eine solide finanzielle Grundlage, um ihre Aufgaben in vollem Umfang erfüllen zu können.

 

Durchsetzung der LSBTIQ*-Menschenrechte!

Wir fordern wir ein unbürokratisches Aufenthaltsrecht innerhalb Deutschlands für Menschen, die wegen ihrer sexuellen Identität in ihren Herkunftsländern Verfolgungen ausgesetzt sind. Hasskriminalität muss strafrechtlich verfolgt werden. Weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Ausgrenzung sowie diffamierenden und stigmatisierenden Darstellungen und Äußerungen müssen ergriffen werden. Wir fordern die Europäische Kommission, die Bundesregierung und die Landesregierungen eindringlich auf, bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Einhaltung der Menschenrechte zu bestehen. Menschenrechte gelten für alle gleich! Egal wo queere Menschen leben: Sie müssen überall selbstbestimmt und in Sicherheit leben können, ohne Angst vor Verfolgung. „Mit Brunei, Iran, Jemen, Mauretanien, Nigeria und Saudi-Arabien sehen sechs Länder für homosexuelle Handlungen die Todesstrafe vor. In fünf weiteren (Afghanistan, Pakistan, Katar, Somalia und die Vereinigten Arabischen Emirate) könnte die Todesstrafe unter bestimmten Bedingungen gegen Homosexuelle ausgesprochen werden.“ (Quelle: https://www.lsvd.de/de/ct/1245-LGBT-Rechte-weltweit). In Russland drohen LSBITQ* unter dem Putin-Regime massive Gefahren in Form von staatlicher Gewalt, wie z.B. Freiheitsberaubung und Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Und in den USA gibt es seit dem vergangenen Jahr mit dem von Gouverneur Ron DeSantis für den Bundesstaat Florida unterzeichneten Gesetz, das umgangssprachlich „Don’t say gay!“ bezeichnet wird, ein besonders negatives Beispiel dafür, dass LSBTIQ* im schulischen Alltag nicht sichtbar sein sollen. Es verbietet Lehrer*innen, mit jüngeren Schüler*innen über sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zu sprechen. Queerfeindliche Gesetze einzelner Staaten müssen auf internationalen Widerstand stoßen. Deutschland muss im Umgang mit diesen Ländern eine klare Position beziehen.

 

Volle Anerkennung von Regenbogenfamilien im Abstammungsrecht!

Wir fordern, die Modernisierung des Abstammungs- und Familienrechts, um der gelebten Realität queerer Menschen endlich gerecht zu werden. Für Kinder, die in einer heterosexuellen Ehe geboren werden, regelt das Bürgerliche Gesetzbuch die Elternschaft bzw. die Vaterschaft von Kindern eindeutig. Das Gesetz legt fest, dass der Ehemann automatisch der Vater eines Kindes ist, selbst wenn er zeugungsunfähig ist oder die die Ehefrau durch eine künstliche Befruchtung schwanger geworden ist. Für Kinder in lesbischen Ehen gelten diese Regelungen nicht. Daher müssen in lesbischen Ehen nicht-leibliche Mütter eine Stiefkindadoption durchführen, um das Sorgerecht für ihr eigenes Kind zu bekommen.

 

„Transsexuellengesetz“ abschaffen und durch menschenwürdige gesetzliche Regelungen ersetzen!

Wir fordern, dass das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) durch ein Selbstbestimmungsgesetz abgelöst wird. Wir fordern eine Regelung zur vollständigen Kostenübernahme durch Krankenkassen für Transpersonen. Diese muss sämtliche von der Person geforderte Maßnahmen einschließen. Das TSG verhindert die freie Selbstbestimmung über den eignen Körper. Es verletzt die Menschenwürde von Transpersonen und macht sie zu Bittsteller*innen ihren eigenen Identität. Bei der Erarbeitung des Selbstbestimmungsgesetzes müssen Interessenvertretungen von Transpersonen gleichberechtig eingebunden.

 

Gesellschaftliche Teilhabe HIV-positiver Menschen und HIV-Prävention stärken!

Wir fordern die Präventions- und Betreuungsarbeit der AIDS-Hilfen verstärkt zu unterstützen. Insbesondere ist eine Finanzausstattung zu gewährleisten, welche ihre Arbeits- und Handlungsfähigkeit sicherstellt. Der Zugang zu HIV-Test muss erleichtert werden. Chronische Erkrankungen dürfen nicht zu Ausgrenzung und Armut führen, Beschränkungen am Arbeitsmarkt, im kulturellen und sozialen Leben müssen abgebaut werden. Sexuell übertragbare Infektionen dürfen Menschen nicht in eine Isolation treiben. Im Rahmen öffentlichkeitswirksamer Kampagnen auf Landes- und Bundesebene muss intensive Aufklärungsarbeit zur Entstigmatisierung von HIV-positiven Menschen umgesetzt werden. Zudem muss die communitynahe Aufklärungsarbeit zur PreP ausgebaut werden.

 

Sichere Unterbringung für geflüchtete LSBTIQ*!

Wir fordern die sichere Unterbringung von LSBTIQ*-Geflüchteten. Dazu sehen wir es als erforderlich an, die Mitarbeitenden in Erstaufnahmeeinrichtungen sowie im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu sensibilisieren und entsprechend auszubilden. Ebenso müssen Schutzräume für den Fall akuter Übergriffe bereitgehalten werden. Viele Menschen fliehen vor Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität aus ihren Heimatländern. Sie suchen Schutz und Sicherheit in Deutschland. Doch oftmals erleben diese Menschen erneute Diskriminierung und Bedrohung, weil sie in den Einrichtungen wieder auf Menschen treffen, vor denen sie aus ihren Herkunftsländern geflohen sind. Die Prüfung des Asylanspruches darf nicht zu einem Zwangsouting im jeweiligen Heimatland führen, um zusätzliche Gefährdungen vor Ort für Angehörige und die asylsuchende Person im Falle einer Ablehnung auszuschließen.

 

Forschen, Erinnern, Gedenken

Wir fordern die Verfolgungsgeschichten queerer Menschen in Deutschland wissenschaftlich zu erforschen, an ihre Schicksale zu erinnern und würdige Formen des Gedenkens zu etablieren. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Verfolgung queerer Menschen nicht aufgehört. Der § 175 StGB bzw. der § 151 StGB-DDR war auch im Nachkriegsdeutschland jahrzehntelang Grundlage für staatliche Verfolgung queerer Menschen. In der Bundesrepublik Deutschland gab es zwischen 1945 und 1969 ca. 50.000 Verurteilungen wegen „widernatürlicher Unzucht“ zwischen Männern nach § 175 StGB. Die Menschenrechtsverletzungen an Homosexuellen nach 1945 in beiden deutschen Staaten sind bis heute nicht vollständig aufgearbeitet. Viel zu oft wird deren Schicksal totgeschwiegen.

 

Berücksichtigung von LSBTIQ* bei der Besetzung der Rundfunkräte

Wir fordern die Berücksichtigung von LSBTIQ*-Vertreter*innen bei der Besetzung des NDR-Rundfunkrates. Die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollen die Offenheit des Zugangs zum Programm für verschiedene gesellschaftlich relevante Gruppen gewährleisten sowie im Hinblick auf die Programmgestaltung beraten. In den Rundfunkräten Radio-Bremen und MDR haben LSBTIQ*-Vertreter*innen bereits einen festen Platz. Die Rundfunkräten von NDR und rbb müssen endlich nachziehen, um auch hier die Belange von LSBTIQ* angemessen berücksichtigen zu können. Gleiches gilt für die vergleichbaren Organe der Landesmedienanstalten, die für den privaten Rundfunk zuständig sind.